Heideburg
Warum?

Heutzutage ist es gang und gäbe: jeder Mensch ist durch Handy und Smartwatches ständig erreichbar und somit auch immer ‚auf Abruf‘. Das Abschalten der eigenen Gedanken fällt genauso schwer wie das des Computers in der eigenen Tasche. Die Belastbarkeit von Menschen im (Arbeits)Alltag sinkt und der ‚WorkLoad‘ nimmt scheinbar unüberwindbar zu. Das Hamsterrad, das wir alle spätestens nach der Pandemie jeden Tag weiter antreiben, ist immer mehr evident und führt auch schon bei Schulkindern in den Unterstufen zu Überforderung und Ängsten, die wir als Lehrerschaft tagtäglich zu spüren bekommen und auffangen müssen. Viele dieser wachsenden Unsicherheiten ist mit den unbegrenzten Möglichkeiten der technischen Errungenschaften in Verbindung zu bringen, denn die Verbindung zu sich selbst wird an vielen Stellen empfindlich angegriffen, wenn die mediale Welt Einzug in das Leben hält.

Die Frage stellt sich also, wie wir als Schule diesen wachsenden Herausforderungen begegnen, ohne uns gegen die technischen Fortschritte zu stellen.

Ein klares Konzept bezüglich der Nutzung von mobilen Endgeräten (u.a. Handys, Smartwatches) muss neu gedacht und von der Schulgemeinschaft als Ganzes getragen werden, damit das Lernen, das Interesse und die Sinnhaftigkeit von ‚Selber machen‘ wieder in den Fokus des Lernens rückt und so die Selbstwirksamkeit des Individuums stärkt. Da sich das Suchpotential von digitalen Medien und der übermäßigen Handykonsum nun auch in der sinkenden Lernfähigkeit, der Konzentrationsfähigkeit und der sozialen Interaktionsfähigkeit unserer Schülerinnen und Schüler (SuS) zeigt, muss das bisherige Konzept zum Umgang mit Handys nachhaltig überarbeitet werden. Das Bedürfnis nach klareren/härteren Regeln und folgenden Konsequenzen wurde nicht nur aus der Eltern- und Lehrer:innenschaft, sondern auch von Seiten der SuS hörbar.

Darum!

Viele Studien zeigen seit Jahren auf, wie Handys und Smartwatches die neuronale Aktivität in Gehirnarealen beeinflussen, die für Aufmerksamkeit, Belohnung und Gedächtnis zuständig sind. Dadurch wird die Fähigkeit von SuS, sich über längere Zeit hinweg zu konzentrieren und effizient zu lernen, messbar beeinträchtigt. Hier ein kleiner Einblick in einige Forschungsergebnisse aus den Fachbereichen Neurophysiologie und Psychologie:

Durch das ständige Aussenden von sensorischen Reizen (z.B. Vibrationen, Töne, visuelle Benachrichtigungen oder leuchtende Displays) wird das Aufmerksamkeitsnetzwerk im Gehirn aktiviert, welches für das Erkennen und Bewerten wichtiger und unerwarteter Reize zuständig ist. Dadurch wird die Aufmerksamkeit ständig vom Lernstoff auf das Gerät gelenkt, selbst wenn das Gerät in der Tasche ist (oder bei den Hausaufgaben auf dem Schreibtisch/im gleichen Raum liegt). Außerdem wird das Einschätzen und Bewerten von für die Situation wichtigen und unwichtigen Inhalten erschwert, was negative Auswirkungen auf Entscheidungsfindungen im Allgemeinen hat.

Manfred Spitzer, Neurowissenschaftler und Psychiater an der Uniklinik Ulm, erforscht seit Jahren mögliche Auswirkungen der Nutzung von Smartphones, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Er prägte bereits 2010 den Begriff „Digitale Demenz“ und beschreibt in seinem gleichnamigen Buch 2019, dass exzessive Nutzung digitaler Medien zu Gedächtnisdefiziten, Konzentrationsproblemen und mangelnder geistiger Tiefe führt. So zeigt er auf, dass in einer großangelegten britischen Studie mit über 130.000 Schülerinnen und Schülern nach Einführung eines schulischen Handyverbots sich die Noten besonders bei leistungsschwächeren Lernenden (um 14%) verbesserten (Beland & Murphy, 2025). Andere Studien zeigen auf (z.B. Skowronek et al. 2023, Ward et al. 2017), dass Handys die Aufmerksamkeit (in z.B. Testsituationen) bereits durch ihre bloße Anwesenheit stören – auch wenn sie lautlos gestellt sind.

Der ständige Wechsel der Aufmerksamkeit zwischen digitaler Welt und realer Aufgabe (z.B. Hausaufgaben) bedeutet für das Aufmerksamkeitssystem eine erhöhte Fehlerfrequenz, da das System überlastet wird, durch z.B. der kontinuierlichen Entscheidung, wohin die Aufmerksamkeit, also auch die Energie fließen soll. Studien zeigen hier deutlich, dass nach jeder Ablenkung im Schnitt 20 Minuten benötigt werden, um nach einer Unterbrechung wieder den Fokus zu finden. Hierzu gehören im Übrigen auch ignorierte Meldungssounds oder Vibrationen (Mark et al., 2008).

In der Folge fällt es den Lernenden besonders schwer, interessiert und fokussiert an einer Aufgabe zu bleiben – das Gehirn hat es nicht anders gelernt!

Für effektives Lernen ist es wichtig, Informationen ins Arbeitsgedächtnis aufzunehmen und dann ins Langzeitgedächtnis zu überführen – ein Prozess, der hohe Konzentration erfordert. Ständige Unterbrechungen durch digitale Geräte verhindern diesen Transfer, da sie die Aktivität im Hippocampus, einer zentralen Gedächtnisstruktur, stören (Müller et al. 2021, Zickerick et al., 2020). Sparrow et al. (2011) konnten in ihrer Studie aufzeigen, dass Personen keine Inhalte mehr erinnern und daraufhin dann Entscheidungen treffen und Rückschlüsse ziehen können, sondern eher wissen, wo die Information (z.B. auf dem Handy) zu finden ist. Somit könnte daraus geschlossen werden, dass das eigenständige Denken und in der Konsequenz auch das Handeln immer mehr in den Hintergrund tritt und der Hippocampus, das Gehirnareal für Gedächtnis und Lernprozesse, nicht genutzt und somit geschwächt wird.

Hier leidet nicht nur die Fähigkeit, sich vertiefend mit einem Thema und etwas Neuem zu verbinden und ggf. auch Frustration und Zurückweisung aushalten zu lernen, der lernende Mensch hat auch weniger die Möglichkeit, emotional und psychisch (seelisch) sich mit der Welt auseinanderzusetzen, denn ein wirkliches Verständnis hängt auch immer mit der Tiefe der Verbindung statt – und das benötigt Zeit.

Durch viele Funktionen von Handys und Smartwatches (z.ꢀB. soziale Medien, Spiele, Nachrichten) entwickeln Nutzerinnen und Nutzer eine unbewusste Erwartungshaltung gegenüber potenziellen Belohnungen (Likes, Nachrichten), was das Gehirn in einen Zustand ständiger ‚Habacht-Haltung‘ versetzt – ein Zustand, der die tiefe Konzentration (Fokus) stört und neurophysiologisch die gleichen körperlichen Zustände und biologischen Prozesse auslöst wie ein Suchtverhalten – denn jedes Mal kommt es zu der Aktivierung des Nucleus accumbens, welcher für die Ausschüttung von Dopamin zuständig ist. Dieses körpereigene Belohnungssystem muss, wie bei allen anderen Süchten auch, immer wieder neu befeuert werden, damit es nicht zu Entzugserscheinungen kommt.

Neben kognitiver Beeinträchtigung führt ein exzessiver Gebrauch von Handy und Co. zu Bewegungslosigkeit, Depressionen, Angst und sozialem Rückzug, da das Erproben mit realen Lebenssituationen nicht mehr stattfinden, und Lösungsstrategien nicht mehr entwickelt werden können. Schul- und Lebensängste können hier die Folge sein.

Spitzer spricht sich klar gegen eine frühe und umfassende Digitalisierung im Unterricht aus. Er kritisiert die Investitionen des Digitalpakts zur Ausstattung von Schulen mit Tablets und speziellen Medienkompetenzprogrammen. Seiner Meinung nach sollten Kinder stattdessen analoges, bewegungsorientiertes Lernen durch Bücher, Stift & Papier, Fingerspiele und reale Aktivitäten erfahren. Für diese Aussagen steht Spitzer immer wieder in der öffentlichen Kritik.

Wenn also schon die bloße Anwesenheit eines Gerätes und nicht nur der exzessive Gebrauch den Lernprozess negativ beeinflussen kann, ist die Schule dann ein geeigneter Ort dafür?

Muriel MacPherson - Dr. rer. nat
Lehrkraft für Biologie, Berufs- und Studienorientierung und Lebenskunde Link in neuem Tab

Handyregelung vom 16.10.2025


Quellen:

Beland, L.-P., & Murphy, R. (2015): Ill Communication: The Impact of Mobile Phones on Student Performance. London School of Economics, Centre for Economic Performance. Mark, G., Gudith, D., & Klocke, U. (2008): The cost of interrupted work: More speed and stress. In Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems (S.ꢀ107-110). ACM. https://doi.org/10.1145/1357054.1357072. Mueller etꢀal. (2021). Paper vs. digital note-taking: hippocampal activation during encoding tasks. fMRI-Studie zur Gedächtnisbildung. – zugänglich über PMC. Skowronek J., Seifert A., Lindberg, S. (2023): The mere presence of a smartphone reduces basal attentional performance. SciRep Jun 8; 13(1):9363., DOI:10.1038/s41598-023-36256- 4 . (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov+1pubmed.ncbi.nlm.nih.gov+1) Sparrow, B., Liu, J., & Wegner, D. M. (2011): Google Effects on Memory: Cognitive Consequences of Having Information at Our Fingertips. Science, 333(6043), 776–778. https://doi.org/10.1126/science.1207745. Spitzer, M. (2019): Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. Droemer Verlag. ISBM 978-3-426-27603-7 Ward, A.ꢀF., Duke, K., Gneezy, A. & Bos, M.ꢀW. (2017): Brain Drain: The Mere Presence of One’s Own Smartphone Reduces Available Cognitive Capacity. Journal of the Association for Consumer Research, 2(2), 140–154. Zickerick, Thönes, etꢀal. (2020). Differential Effects of Interruptions and Distractions on Working Memory Processes in an ERP Study. Frontiers in Human Neuroscience, 14:84. https://doi.org/10.3389/fnhum.2020.00084.